Ein neuer Aufsatz von mir, der in Zusammenarbeit mit Mladen Perić entstanden ist, erschien vor wenigen Tagen in der neuen Ausgabe der Zeitschrift jugoLink:
(Mit Mladen Perić) (2012): Kako je rashodovano društvo? Strateški stečaj i njegova primena na postjugoslovenskom prostoru na primeru preduzeća Šinvoz [Wie eine Gesellschaft ausverkauft wurde. Strategische Insolvenz und ihre Anwendung im postjugoslawischen Raum am Beispiel des Unternehmens Šinvoz]. In: jugoLink. Pregled postjugoslovenskih istraživanja 2 (1), S. 78–97.
Im Dezember 2012 erschien meine Übersetzung des Artikels ins Deutsche in der Reihe Reihe rls papers: Wie eine Gesellschaft ausverkauft wurde. „Strategische Insolvenzen“ und ökonomische Transformation in Serbien.
Hier ein Auszug:
Die Zeit nach dem Zerfall des jugoslawischen Staates war von einer Reihe von Ereignissen und Akteuren gekennzeichnet, denen in den Geisteswissenschaften sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Transformation des politischen Systems, der Aufstieg alter und neuer politischer Eliten, die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo sowie die postjugoslawischen Nationalismen sind nur einige der wichtigsten Forschungsthemen in Bezug auf diesen Zeitraum. Zahlreiche Studien, Monographien, Sammelbände und Zeitschriftenartikel widmen sich den Veränderungen, die in ganz Osteuropa seit Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts erfolgten. Diese Forschungsarbeiten – sei es aus der Feder westeuropäischer Autoren oder „einheimischer“ Experten – suchten die Ursachen und Folgen des Zusammenbruchs sozialistischer Systeme und die sogenannte Demokratisierung osteuropäischer Gesellschaften zu erklären. Fast ohne Ausnahmen wurden die neue „Demokratie“ „in einem Paket“ mit der Einführung der Marktwirtschaft, und der Staat vor allem als Nationalstaat, und eben nicht als Sozialstaat interpretiert. Die Deutung der jeweils aktuellen Ereignisse verlief überwiegend im Einklang mit Fukuyamas „Ende der Geschichte“: Die liberale Demokratie und die kapitalistische Ordnung der „freien Welt“ siegten endlich gegen das Projekt des „real existierenden Sozialismus“, und so schien es, auch allgemein gegen die Prinzipien der Linken. Mit der hergestellten Hegemonie verschiedener Transformationstheorien – im postjugoslawischen Raum bekannter unter dem Begriff der Transition – konnten in dieser Region nur noch nationalistische Deutungen der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Wandels in Konkurrenz treten. Beide Narrative – das neoliberale wie das nationalistische – hatten das Ziel, die neue / alte politische Elite und die neue gesellschaftliche Ordnung zu legitimieren.
Heute, also zwanzig Jahre später, können wir mit Enttäuschung feststellen, dass sowohl die eine als auch die andere Strategie erfolgreich war: Wie der Nationalismus normalisiert wurde, so wurde auch die neue Wirtschaftsordnung normalisiert. Gleichzeitig besteht jedoch auch ein Unterschied zwischen den Haltungen gegenüber diesen beiden Phänomenen. Während eine Kritik des Nationalismus seit seinem (erneuten) Aufkommen im Laufe der 1990er Jahre existierte – obgleich auf enge Kreise einer „alternativen“ intellektuellen Elite beschränkt – war die Kapitalismuskritik im postjugoslawischen Raum bis vor wenigen Jahren, sofern sie überhaupt artikuliert wurde, fast unsichtbar. Dabei ist gerade die wirtschaftliche Transformation dieses Teiles Europas ein Prozess, der nicht nur einzelne Aspekte der kapitalistischen Ordnung, und somit auch deren Kritik hervorragend illustriert, sondern auch einen bedeutenden Einfluss auf den Alltag der Menschen in dieser Region hat. Wie es für die Mehrheit der Bevölkerung des ehemaligen Jugoslawiens erniedrigend war, die Inflation, „die spontane Veränderung der Eigentumsformen“ und somit auch den Eigentümerwechsel im Hinblick auf gesellschaftliches Eigentum, ferner die informelle, und dann die formelle Arbeitslosigkeit, die Minderung des allgemeinen Lebensstandards, die „graue Ökonomie“, den „Schwarzmarkt“, die Versorgungsengpässe, die nicht ausgezahlten Gehälter etc. zu erleben, so ist die Tatsache, dass dieser ganze Prozess selten oder gar nicht in Frage gestellt wird, für diese Gesellschaften fast genauso erniedrigend. Mit der Ausnahme einiger kritischer Arbeiten über ökonomische Probleme des sozialistischen Jugoslawiens1 sowie über die Entstehung der neuen wirtschaftlichen Elite während der 1990er Jahre, deutet die Mehrheit der wissenschaftlichen Untersuchungen, die sich gewissermaßen der Wirtschaftsgeschichte zuordnen ließen, den Zusammenbruch der (post-)jugoslawischen Wirtschaft als einen Begleiteffekt des schweren, aber notwendigen gesellschaftlichen Wandels. Erst neuere theoretische und empirische Arbeiten über die gesellschaftliche Transformation, vor allem die Analysen der Privatisierung und der neuesten Arbeiterkämpfe sowie die allgemeinen historischen Darstellungen des Zerfalls Jugoslawiens stellen erste bedeutende Versuche einer kritischen Analyse der jüngsten Vergangenheit postjugoslawischer Gesellschaften dar.
Mit dem Ziel eines besseren Verständnisses der Privatisierung und einer kritischen Analyse des Prozesses wirtschaftlicher Transformation im Allgemeinen wird in diesem Beitrag einer der Mechanismen erklärt, mit Hilfe dessen die (post-)jugoslawische Wirtschaft systematisch zerstört wurde, und der verstärkt nach 2000 angewandt wurde – dem Jahr, das übrigens als Umbruch in der postsozialistischen „Durchgangsperiode“ und als Jahr, in dem die „Demokratie siegte“, gilt. Die Rede wird über den strategischen Einsatz von Insolvenzen sein. Welche ökonomische „Logik“ hinter den Bemühungen der Unternehmer steckt, die gerade erst erworbenen Unternehmen in die Insolvenz zu treiben, welche rechtlichen Rahmenbedingungen und politische Entscheidungen diesen Prozess ermöglichen, wer die an diesem Prozess beteiligten Akteure sind und schließlich, welche wirtschaftliche und soziale Folgen diese Strategien haben, sind nur einige der Fragen, die in diesem Beitrag beantwortet werden.